19. Oktober 2013

Bewerbung – GRÜN hat viel vor

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich bewerbe mich in schwierigen Zeiten bei Euch um das Amt des politischen Geschäftsführers. Das Wahlergebnis lag weit unter unseren Erwartungen und ist für uns eine herbe Enttäuschung. Doch jetzt gilt es sich bestmöglich für die Zukunft aufzustellen. Bundespolitisch steuern wir vermutlich auf eine Große Koalition zu, die im Parlament nur eine kleine Opposition aus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken gegen sich haben wird.

Wir setzen auf der BDK in Berlin die notwendige Analyse fort. Wir diskutieren, mit welchen Fehlern wir zu diesem enttäuschenden Wahlergebnis beigetragen haben. Wir werden aber auch in die Zukunft schauen. Denn Grün hat viel vor in den nächsten Jahren – und wenig Zeit, um Atem zu holen.

So unglaublich es nach diesem harten Wahlkampf klingt, die nächsten Wahlen stehen vor der Tür. In einem halben Jahr ist die Europawahl. Nach drei Jahren Eurokrise wird diese Wahl eine völlig andere politische Brisanz und Aufmerksamkeit haben als die Europawahlen der letzten Jahrzehnte. Mir als Mitglied der Schreibgruppe für das Europawahlprogramm und als Grüner mit ostdeutscher Herkunft brennt das Bundestagswahlergebnis doppelt auf den Nägeln. Deshalb bitte ich euch eindringlich: Lasst uns bei aller Notwendigkeit, Fehler aufzuarbeiten und die letzten Monate zu reflektieren, jetzt nicht in Selbstbeschäftigung versinken. Wir stehen vor großen Herausforderungen.

Eine davon heißt AfD, eine europafeindliche und rechtspopulistische Partei, die fast den Einzug in den Bundestag geschafft hätte und nun bei der Europawahl antritt. Als politischer Geschäftsführer möchte ich alles dafür tun, um uns Grüne auf diese Auseinandersetzung vorzubereiten. In der Zuspitzung, die es hier geben wird, werden wir Grüne zeigen, dass wir die Europapartei sind – nicht indem wir Europa gesund beten, sondern indem wir uns für ein nachhaltiges, solidarisches und demokratisches Europa engagieren, das unerlässlich ist für eine gute Zukunft auf unserem Kontinent. Ein Europa, das sich seiner globalen Verantwortung bewusst ist, das zu einer besseren Welt beiträgt und sich nicht als unmenschliche Flüchtlingsabwehrfestung geriert.

Zudem stehen Kommunalwahlen in elf Bundesländern an. Auch hier steht viel auf dem Spiel. Denn die grüne Verankerung und Stärke beruht auf unserer Basis, unserem Fundament in den Kommunen mit tausenden grünen Frauen und Männern, die sich tagtäglich für die Belange der BürgerInnen engagieren. Grün wächst schon immer von unten. Das müssen wir auch nächstes Jahr wieder zeigen.

Und ganz besonders wichtig sind die Wahlen im Osten. In Sachsen, Thüringen und in Brandenburg wollen wir unseren Platz im Parlament verteidigen. Wir werden die Wahlen dort nur gewinnen und unseren Anspruch als gesamtdeutsche Partei unterstreichen, wenn wir gemeinsam den Mehrwert grüner Politik deutlich machen und unsere Themen profilieren. Wir haben in diesen Ländern gerade im Vergleich zum jeweiligen Ergebnis der Bundestagswahl einiges gut zu machen!

Die Wahlen sind aber nicht die einzige Herausforderung. Wir müssen unsere grünen Kernanliegen stärken. Mir geht es dabei um Klimaschutz und Energiewende, Gerechtigkeit in unserem Land, BürgerInnenrechte, eine offene Gesellschaft und eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik mit solidarischem Anspruch. Dafür brauchen wir erkennbare Inhalte und eine schlagkräftige Kommunikation. Dazu braucht es unsere Fraktion im Bundestag und unsere grünen Landesregierungen. Dazu braucht es aber auch und gerade die grüne Partei als eine eigenständige politische Kraft in Deutschland, die nie beliebig war und es nie sein darf.

Wir müssen nicht alles anders, aber vieles besser machen als im Bundestagswahlkampf. Wir brauchen aus meiner Sicht keine programmatische Generalrevision. Sehr wohl müssen wir aber die Art verändern, wie wir auf die Menschen zugehen und als Grüne kommunizieren. Wir argumentieren oft zu komplex und zu technisch, mit zu wenig Emotion und zu wenig sichtbarem Bezug auf unsere Grundwerte. Oder kurz: Zu viel Inhalt, zu wenig Botschaft – an dieser Diskrepanz gilt es zu arbeiten!

Konkret heißt das: Die realen Herausforderungen des Klimawandels sollten im Mittelpunkt stehen und weniger die technischen Details der Energiewende. Wir sollten mehr über emanzipatorische Freiheit reden und weniger über Verbote. Und wir sollten über Gerechtigkeit reden und weniger über Steuertabellen. Hierfür benötigen wir mehr Ressourcen in der Botschaftsentwicklung und mehr Räume und Prozesse, um unsere Kommunikation zu schärfen und zu reflektieren. Diese Räume zu schaffen und zu fördern – darin sehe ich eine spannende und lohnende Aufgabe.

Ich möchte als politischer Geschäftsführer dazu beitragen, dass die Reform unserer Parteistrukturen zu einem Erfolg wird – ohne zu vergessen, dass die Perspektive der Länder sich nicht nur aus dem Blick durch die Regierungsbrille ergibt. Es braucht einen Ideenwettbewerb und einen breiten Prozess für mehr Beteiligung. Wir sollten unsere inhaltliche Arbeit auch durch eine Aufwertung der BAGen stärken. Und wir sollten unsere offenen Strukturen auch durch die erweiterten Möglichkeiten, die uns Internet und neue Medien bieten, besser nutzen. Da können wir einiges verbessern, gerade im Sinne einer besseren Beteiligung der Mitglieder.

Eine traurige Erkenntnis dieses Wahlkampfes lautet: Wir standen ziemlich oft alleine im Regen. Umso mehr müssen wir an unserer Strategie, politisch weiter in die Gesellschaft hineinzuwirken, festhalten. Hier gibt es ein verdammt dickes Brett zu bohren! Viel Vernetzungsarbeit ist nötig: mit den Umweltverbänden, den Gewerkschaften, der Wirtschaft, mit Intellektuellen und KünstlerInnen. Die haben die Bundesvorstände der letzten Jahre engagiert geleistet. Aber eine progressive und tragfähige Allianz, die gibt es noch nicht, und an der müssen wir weiter schmieden. Denn unser Einfluss im Bundestag ist begrenzt und der Bundesrat wird nur gelegentlich helfen können. Deshalb gilt es, uns auch auf unsere traditionellen Stärken zu besinnen, auf bunten, kreativen und frechen Protest auf der Straße, in der Zivilgesellschaft, mit fortschrittlichen Unternehmen und Gewerkschaften, in der Umweltbewegung.

Das erste Bündnis ist dabei das Bündnis mit unseren Mitgliedern. Wir haben in diesem schwierigen Wahlkampf gesehen: Wir können uns aufeinander verlassen, auch wenn der Wind uns ins Gesicht bläst. Das ist eine gute und äußerst kostbare Grundlage für die weitere Arbeit. Mich interessiert jetzt vor allem: Wie begeistern wir noch mehr Menschen für unsere Arbeit? Was können 45.000 langjährige Mitglieder von 16.000 Neumitgliedern lernen und umgekehrt? Dazu gehört auch sich gemeinsam solidarisch der eigenen Parteigeschichte zu stellen.

Ich bin mir sicher, dass ein Teil der Antwort in dem Weg liegt, den der letzte Bundesvorstand beschritten hat. Mit der Urwahl der SpitzenkandidatInnen und dem Mitgliederentscheid über unsere Schlüsselprojekte haben wir grüne demokratische Experimente gewagt. Und beim Bundestagswahlprogramm ist eine so breite Einbeziehung der Partei gelungen wie nie zuvor.

Allen kritischen Stimmen, die vor zu viel lebendiger Debattenkultur warnen, empfehle ich einen Blick zurück. Vor zwei Jahren waren die Piraten „Hype“ und ganz Deutschland rief nach einem Aufbruch der verkrusteten Parteistrukturen. Ich bin mir sicher, dass es immer noch viel Sehnsucht nach offener, glaubwürdiger und authentischer Politik gibt – und dass wir Grüne weiter daran arbeiten sollten, der Ort zu sein, an dem sich dieses Anliegen erfüllt. Dafür müssen wir einiges verbessern: offen und auf Augenhöhe diskutieren, uns nicht im Klein-Klein verlieren, Meinungsverschiedenheiten auch demokratisch und fair austragen – und zwar auf Parteitagen, nicht nur vorher und nachher, nicht nur mit Blick auf Flügel- oder andere Partikularinteressen, sondern mit einem verantwortlichen Blick aufs Ganze!

Auch dafür möchte ich mich engagieren, um unsere gemeinsame politische Kultur zu fördern und zu stärken. Deshalb bitte ich Euch herzlich um Euer Vertrauen, um Eure Unterstützung und um Eure Stimme für meine Kandidatur.

Herzliche Grüße

Michael